Leseprobe 5 Band

Leseprobe Band 5: Die Wilden Küken - Auf Schatzsuche

Nach dem Sportunterricht trafen sich die Wilden Küken und die Grottenolme auf dem Schulhof. Gleichzeitig gaben sich Lilli und Ole, Very und Mitch und Bob und Little ein Küsschen.
»Tschüß!« Enya hob die Hand zu einem Abschiedsgruß. »Ich hab meiner Mutter gesagt, dass ich heute zum Essen heimkomme.«
»Aber wir sehen uns doch nachmittags trotzdem im Kino?«, rief Lilli ihr nach.
Enya nickte und lief in die Fahrradhalle.
»Da hat jemand sein Mäppchen verloren!« Mitch hob ein pinkfarbenes Stifte-Etui auf.
»Das gehört Denise!« Very las das Namensschild und klappte das Etui auf. »Guck mal!« Sie hielt Lilli das Mäppchen unter die Nase. Neugierig reckten auch Bob und die Jungs die Hälse. Auf die Innenseite des Etuis waren viele winzige Blümchen um ein Herz gemalt. In dem Herz stand D + M. »D bedeutet Denise!«, kombinierte Mitch. »Und M? Mareike?« Er stutzte kurz. »Denkt ihr, die beiden sind lesbisch?« »Depp!« Very gab ihm erst eine Kopfnuss, wuschelte ihm dann aber gleich wieder versöhnlich durch die Haare.
»Ich hab da mal einen Film gesehen, da war ein Planet, auf dem gab es nur Frauen, aber die hatten voll coole Waffen. Damit konnten sie so Energieampullen abfeuern.«
Mitch gab Explosionsgeräusche von sich. »Vielleicht steht das M für Mark«, überlegte Ole. Lilli schüttelte den Kopf. »Enyas Bruder war zwar mal in Denise verknallt, aber sie garantiert nicht in ihn.«
Mitch betrachtete das Etui in seinen Händen. »Denise ist so eine Tussi, das kann nur ein Vollidiot sein, in den die verknallt ist!« »Was für ein Glück, du hast es gefunden …« Mit einer Bonbontüte in der Hand überquerte Denise die Straße.
»Hältst du mal?« Sie drückte Mitch die Tüte in die Hand, ließ den Schulrucksack von der Schulter gleiten und verstaute das Etui darin. »Das muss mir vorhin rausgerutscht sein.« Sie lächelte Mitch ziemlich lange ziemlich schmachtend an.
Mitch streckte ihr die Bonbontüte hin, aber Denise schüttelte den Kopf und hauchte: »Finderlohn!« Er gab ihr die Tüte trotzdem zurück. »Ich mag keine Traubenzuckerherzchen!« »Verstehe!« Denise warf erst einen giftigen Blick zu Very, dann einen schmachtenden zu Mitch und rannte zur Bushaltestelle.
Schmunzelnd legte Very den Arm um Mitchs Schulter und blickte Denise hinterher. »Tja, in welchen Vollidioten mag unser Zuckerherzchen wohl verknallt sein!?«
Unter ein paar Platanen fanden sie ein gemütliches Plätzchen im Stadtpark. Ole, Little und Mitch breiteten ihre Leopardendecke aus und wollten sich schon über die Süßigkeiten aus ihren Schultaschen hermachen, aber Lilli, Bob und Very bestanden darauf, erst die Hausaufgaben zu erledigen. Zum Glück ging das dank Little ziemlich schnell. Lilli brauchte nur ihren Bleistift zu spitzen und einfach alle Zahlen mitzuschreiben, die Little diktierte. Lilli klappte ihr Heft zu und lehnte sich an Oles Rücken. Mitch biss genüsslich von einem Schokoriegel ab und zeigte auf die gefleckte Rinde der Platanen. »Die sehen echt aus wie Elitesoldaten im Tarnanzug!« Bob und Little spielten Kniffel, und auch, wenn er die Wahrscheinlichkeit eines Dreierpaschs berechnen konnte, so hatte Bob doch eindeutig mehr Würfelglück.
Very kitzelte Mitch mit einem Grashalm, weil sie nicht glauben wollte, dass ein Elitekämpfer nicht kitzelig wäre, Lilli und Ole teilten sich einen Apfel, und vom Stadtgraben herauf verirrte sich eine Libelle, stand kurz blau schimmernd über ihnen in der Luft und überließ die drei Pärchen dann wieder sich selbst.
»Hör auf … ich kann … ich kann nicht mehr!« Mitch platzte vor Lachen und Very steckte sich zufrieden den Grashalm in die Haare. Es gab also doch kitzelige Elitekämpfer. Abwechselnd nagten Lilli und Ole immer winzigere Bissen von ihrem Apfel. »Wetten, ich schaff es bis zum Stadtgraben!« Ole warf das Kernhaus. Jenseits der Platanen ertönte ein Wasserglucksen. »Das lässt sich noch toppen!« Mitch legte sein langes Lineal über seine Coladose und schnappte sich kurzerhand Lillis Bleistift spitzer als Munition. »Feuer frei!« Mitchs Hand patschte auf das hochragende Ende des Lineals. Der Spitzer beschrieb einen eleganten Bogen und landete ein paar Meter weiter in der Wiese. Very sprang auf, um ihn zurückzuholen, und versuchte es dann ihrerseits. Auch Ole, Lilli und Bob beteiligten sich an dem Wettkampf. Sie hatten das Katapult schon ziemlich oft geladen, aber noch immer hielt Mitch den Rekord im Spitzer-Weitschießen. Ole legte den Spitzer für Lillis nächsten Schlag auf das Katapult.
Lilli konzentrierte sich und haute, so fest sie konnte, auf das Lineal. Die Munition schnellte in die Luft, nahm aber eine andere Richtung als beabsichtigt, und noch bevor es wirklich geschah, wusste Lilli, dass es geschehen würde.
Der Spitzer flog direkt auf einen Spaziergänger zu und traf ihn voll ins Gesicht. Der alte Herr gab einen Schmerzenslaut von sich und fasste sich an die Wange.
»Rückzug!«, zischte Mitch.
Hektisch griff en Lilli, Bob und Very nach den Schulrucksäcken, während Ole und Mitch kurzerhand die ganze Decke mit allem, was noch darauf herumlag, zusammenrafften. Little nestelte an den Schnallen seiner Sandalen herum. »Wer eine andere Person körperlich misshandelt, wird mit Gefängnis
bis zu fünf Jahren bestraft. Auch der Versuch ist strafbar.« »Santo cielo!« Bob zupfte ihn panisch am Hemdsärmel. »Um Himmels willen, Little! Jetzt lass doch deine Schuhe!« »Barfuß kann ich um zwölf Prozent schneller laufen!« Er schlüpfte aus den Sandalen. Und als wäre das Wort laufen ihr Stichwort gewesen, rannten jetzt alle los. Aber auch der alte Herr setzte sich in Bewegung. Er war groß und hager und überraschend schnell. Little rannte Very hinterher Richtung Stadtgraben, flankiert von Bob und Lilli folgten Mitch und Ole mit ihrem Deckenpaket. Für sein Alter war der Mann ein exzellenter Läufer und, anders als sie, hatte er keine Last zu schleppen. Lilli bremste auf dem Weg, der am Ufer des Stadtgrabens entlanglief. Sollten sie nach links oder rechts? Auch Ole schien ratlos. Hinter sich hörten sie schon das Keuchen ihres Verfolgers.
»Durchs Wasser!« Lilli sprang die Böschung hinunter und watete voran. Der Stadtgraben war ein künstlich angelegter Wasserkanal, sehr breit, aber zum Glück nicht tief. Gerade mal knöchelhoch floss das Wasser über große Steinplatten. Dunkle Pflanzen wiegten sich in der Strömung, kühl drang das  Wasser durch Lillis Leinenturnschuhe.
Um nicht auszugleiten, hielt Very sich an Mitchs Schulter fest. Lilli griff nach Oles freier Hand und Little zog Bob hinter sich her. Wie Seiltänzer balancierend, erreichten sie das andere Ufer und flohen rasch ins nahe liegende Gebüsch. Durch die Zweige ihres Verstecks beobachteten sie, wie der alte Herr zögernd vor dem Stadtgraben stand. Eine Sekunde lang sah es so aus, als wolle auch er die Überquerung wagen, er ließ es dann aber sein und entfernte sich kopfschüttelnd.»Das war knapp«, murmelte Lilli. »Ultraknapp«, sagte Ole.
»Ultraoberaffenmegaknapp!«, fügte Mitch hinzu. »So was schaffen nur die besten Elitekämpfer!« Er blickte in die Runde. »Irgendwelche Verluste, Männer?«
»Ein Bleistift spitzer!«, sagte Lilli, und da musste die ganze Eliteeinheit lachen, egal, ob kitzelig oder nicht.
Um ihren Sicherheitsabstand zu vergrößern, wanderten sie noch ein Stück weit, bevor sie die Leopardendecke erneut ausbreiteten. Little ließ sich als Erster darauf nieder, reckte seine Füße in die Luft und betrachtete voller Genugtuung seine trocken gebliebenen Sandalen.

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