Mittwoch, 13. März 2013

Leseprobe für den 3 Band

Leseprobe Band 3: Die Wilden Küken - Endlich Ferien!

Sneaker sah in dem Kinderwagen so niedlich aus, dass Lilli trotz seines Gipsbeines über ihn schmunzeln musste. Sie fuhr ihr Hundebaby Richtung Schiebetor, klappte dann aber gleich wieder die Bremse gegen die Räder und lief zurück, um ihrem Vater noch kurz Bescheid zu sagen. In der Werkstatttür prallte sie mit Ole zusammen.
»Was willst du denn hier?«, fuhr Lilli ihn an und entdeckte, dass er die kleine Werkzeugtasche ihres Vaters in der Hand hielt. »Wohin willst du damit?«
Ihr Vater kam an die Werkstatttür. »Das geht schon in Ordnung, Lilli, ich hab ihm das Werkzeug geliehen.«
Lilli schaute zwischen ihrem Vater und Ole hin und her. »Aber wofür denn?«
»Das wirst du schon noch rechtzeitig sehen.« Lillis Vater wischte mit einem Lappen über das Schild der Schreinerei.
Ole verstaute das Werkzeug in seinem Rucksack. »Also ich brauch das für, äh … für den Campingbus!« Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als würde er Lillis Vater zuzwinkern.
Sneaker bellte und erst jetzt entdeckte Ole den Kinderwagen. »So sieht also deine Ferienplanung aus. Du spielst den Chauffeur für Sneaker. Echt cool, Oberküken.«
Lilli spürte förmlich, wie ihr die Zornesröte ins Gesicht stieg. Sie wollte Ole jetzt so richtig die Meinung sagen, ihm ihre ganze Wut an den Kopf werfen, aber es war, als wären plötzlich alle guten Schimpfworte aus der Welt verschwunden. Lilli klappte den Mund auf und zu und heraus kam nur: »Hoffentlich regnet es am Bodensee.«
Oles dunkelblaue Augen schienen noch dunkler zu sein als sonst. »Danke fürs Werkzeug, Herr Holler!«, sagte er und flankte über das Einfahrtstor.
Zum Glück musste Lilli beim Tierarzt nicht lange warten. Deutlich konnte man auf den Röntgenbildern die Bruchstelle erkennen. Der Tierarzt aber meinte, der glatte Bruch würde gut verheilen. »In drei Wochen machen wir ihm den Gips ab und dann ist er wieder ganz der Alte.«
Erleichtert verließ Lilli die Praxis. Sneaker humpelte ihr voran in den Lift. Lilli drückte auf Erdgeschoss und betrachtete sich im Spiegel an der Rückwand. Sie formte mit den Lippen ein Fischmaul und tat, als würde sie unter Wasser blubbern. Dann zog sie die Augenwinkel zur Seite und machte sich Schlitzaugen. Sie blies die Backen auf, schielte und lachte über ihre eigenen Grimassen. Aber dann strich sie sich die rotbraunen Locken aus dem Gesicht und blickte ihrem Spiegelbild in die grünen Augen. »Lilli Holler«, murmelte sie und kam sich plötzlich ganz fremd vor.
Draußen überquerte sie mit Sneaker die Bahnhofstraße und hob den Hund wieder in den Kinderwagen, den sie zuvor mit ihrem Fahrradschloss an einer Parkbank festgekettet hatte. Lilli setzte sich in die Sonne und holte den Napf aus dem Netz des Kinderwagens. Sie goss aus ihrer Trinkflasche erst etwas Wasser für Sneaker in den Napf und trank dann selbst einen Schluck. Der Minutenzeiger der Bahnhofsuhr zeigte senkrecht nach unten. Bis zu ihrem Bandentreffen bei Bob hatte Lilli noch jede Menge Zeit, also schaute sie den Reisenden zu, die aus dem Bahnhofsgebäude herauskamen oder die breiten Stufen zum Haupteingang hinaufhetzten.
»Schau mal, Sneaker, die haben es richtig eilig.« Vier alte Männer in kurzen Hosen und mit Baseballkappen auf den hochroten Köpfen rannten über den Bahnhofsplatz. Eine Frau in einem grauen Kostüm redete sehr aufgeregt in ihr Handy.
Lilli kippte noch einen weiteren Schluck Wasser in Sneakers Napf. Hinter einem Obststand umarmten sich ein Mann und eine Frau zum Abschied. Lilli kniff die Augen zusammen. Aus dem Bahnhof kam soeben ein Junge. Er trug einen vollbepackten Rucksack auf dem Rücken und eine Plastiktüte in der Hand. Gefährlich schwankend, holperte der Koffertrolley, den er hinter sich herzog, über die Stufen.
»Was meinst du, Sneaker, wo der wohl herkommt?« Lillis Hand kraulte Sneakers Fell.
Während sich der Junge eine Tüte Trauben kaufte, redete er in einer fremden Sprache so laut mit dem Obsthändler, dass Lilli fast jedes Wort hören, aber natürlich nicht verstehen konnte.
»Er ist Italiener«, sagte Lilli, und genau in diesem Moment drehte der Junge sich um. Lilli wich seinem Blick aus und zog die Riemchen ihrer Sandalen fester. Der Junge steuerte jetzt direkt auf sie zu, lächelte kurz, hievte den Trolley auf die Bank, legte die Traubentüte darauf und nahm den Rucksack ab. Dann setzte er sich und fing an, die Trauben zu essen.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Lilli den Jungen auf der anderen Seite des Gebirges aus Trolley, Rucksack und Plastiktüte. Wenn er kaute, bewegten sich die schwarzen Locken auf seinen Schläfen. Er streckte die Beine aus und gähnte. Seine Lider waren jetzt fast geschlossen, seine schwarzen Augen verschwanden hinter dem Fächer seiner langen Wimpern.
Lilli packte den Napf wieder in das Netz. Sneaker hockte im Kinderwagen und reckte stolz die Schnauze in die Luft. »Dann bin ich eben dein Chauffeur. Und wenn Ole sich dreimal kaputtlacht.« Lilli wollte losschieben, hatte aber vergessen, die Bremse des Kinderwagens zu lösen. »Dabei hab ich mir die Ferien so toll vorgestellt. Ich dachte, ich und Ole …« Lilli klappte mit dem Fuß die Bremse weg. »Ich dachte, wir könnten auch gemeinsam mal was unternehmen, Grottenolm hin, Grottenolm her, aber …« Lilli hielt mitten im Reden inne. Hatte sie das jetzt laut gesagt? Es passierte öfter, dass Lilli in Gedanken redete, aber auch das Gegenteil kam vor, und sie sagte laut, was sie gerade dachte. Zum Glück war der Typ auf der Bank Italiener. Lilli nickte ihm stumm zu und wandte sich zum Gehen, da sprach der Junge sie an. »Verzeihung, ich habe gehört, was du gesagt hast, aber ein Wort habe ich nicht verstanden. Was ist denn ein Grottenolm?«
Er kann Deutsch, schoss es Lilli durch den Kopf, und verwirrt wusste sie einen Augenblick lang nicht, was sie tun sollte. Einfach weggehen oder mit ihm reden. Der Junge war inzwischen aufgestanden und die Sonne blendete ihn.
»Ein Grottenolm ist ein Schwanzlurch«, sagte Lilli. »So eine Art Molch, Grotte wie Höhle, also ein Molch in einer Höhle, also so was Ähnliches wie eine Eidechse, aber ein Grottenolm kann auch ein Junge sein, der einfach abhaut und …« Lilli hielt die Luft an. Was redete sie denn hier? Mit einem Wildfremden!
Sie lächelte schief und machte, dass sie wegkam. Bis sie mit dem Kinderwagen endlich um die nächste Ecke bog, spürte sie den Blick des fremden Jungen in ihrem Rücken. Lilli verlangsamte ihre Schritte und beruhigte sich wieder etwas. Sneakers Bein verheilte gut, es war ein wundervoller Sommertag, und gleich würde sie sich mit ihren Freundinnen in der Eisdiele treffen. Und Bobs Oma machte das beste Pistazieneis der Welt. Die Vorfreude auf den süßen Geschmack grüner Nüsse vertrieb den letzten Rest der leisen Peinlichkeit, die Lilli eben noch empfunden hatte.
Lilli ließ den Schiebebügel des Kinderwagens los und schob sich die dichten Locken aus dem Nacken. Ein kühlender Lufthauch strich um ihren Hals, Sneaker bellte, Lilli drehte sich um und erschrak. Keinen Steinwurf von ihr entfernt, zerrte der Junge seinen Rollkoffer hinter sich her über die Straße.
Verfolgte sie der Kerl etwa?... 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen